Erfahrungsberichte
Ruedi, 57: Alles verloren ...
Meine Problematik mit dem Alkohol fing schon sehr früh an. Schon in der Teenager-Zeit begleitete mich der Alkohol sehr stark. So im Nachhinein denke ich, dass ich das gebraucht habe um mich stark und sicher zu fühlen. Ich habe immer mit dem Alkohol meine Unsicherheiten "weggetrunken"
Mein Umfeld merkte durchaus das mein Alkoholkonsum problematisch wird. Aber ich ignorierte es und spielte es herunter.
Nach diversen unschönen Lügengeschichten ging meine Ehe kaputt. Ich war nicht mehr mich selbst. Zu dem machte ich meine Arbeit nicht mehr richtig. Ich war vom Gedanken ans Trinken gefesselt. Es wurde zum Wichtigsten in meinem Leben! Nun verlor ich zum ersten Mal meinen Job. Zuvor hatte ich eine gute und verantwortungsvolle Stelle.
Ich war voll im Alkohol gefangen. Es folgten diverse Abstürze, Klinik- und Spitalaufenthalte. Nach einem Unfall mit Kopfverletzungen (natürlich nicht nüchtern). Mein Zustand war eine Katastrophe. Ich war ein lebendiges Wrack. Meine Gesundheit hatte ernsthaften Schaden genommen.
Einmal mehr am Boden zerstört! Ich konnte mich dann auch dank der Unterstützung in einer Beratungsstelle nach verschiedenen erfolgslosen Versuchen noch einmal dazu aufraffen, nochmals eine Therapie zu machen. Habe wieder einen körperlicher Entzug gemacht. Bei jedem Entzug ging es länger und war noch schwieriger wieder auf die Beine zu kommen.
Nach vielen Gesprächen mit Alkoholfachleuten ist dann der "Knopf" bei mir aufgegangen. Ich habe gemerkt das ich, falls ich nichts ändere wohl nicht mehr lange leben werde.
In meiner letzten Therapie ist mir dann bewusst geworden das ich noch leben möchte und dies mit Alkohol unter keinen Umständen möglich ist.
Nun bin ich seit 18 Monaten trocken und es geht mir sehr gut. Ich habe auch als Schutz ein Jahr lang zur Unterstützung Antabus eingenommen. Das Leben ist wieder lebenswert und schön. Mein Körper hat sich zum Glück recht gut erholt von meiner Zeit die ich mit trinken zugebracht habe.
Ich werde mich aber weiterhin regelmässig in einer Selbsthilfegruppe mit anderen betroffenen Menschen treffen um unsere Erfahrungen gegenseitig auszutauschen. Dies ist sehr wichtig und unterstützt mich in meiner Alkoholabstinenz.
Stefan, 55: plötzliche Einsicht
Ich trank über Jahre hin vor allem Bier, ohne mir je dazu Gedanken zu machen. An einem Abend, den ich mit den üblichen Kumpels im Restaurant verbracht hatte, bezahlte ich am Schluss meine Rechnung – und war schockiert über den Betrag. Ich war vier Stunden dort und hatte eine solche Menge getrunken und merkte es überhaupt nicht. Es war, als hätte ich Wasser getrunken. Dies erschütterte mich. Ich sagte mir: das ist nicht mehr normal. Natürlich wurde ich zuvor schon von meiner neuen Partnerin darauf angesprochen, ich würde doch recht viel trinken. Sogar ihrer Tochter war mein Konsum aufgefallen. Aber das hatte ich immer mit irgendeinem dummen Spruch abgewehrt.
Nun aber fasste ich den Entschluss, etwas zu ändern. Ich hatte einige Jahre zuvor schon mit dem Rauchen aufgehört. Mit dem Alkohol wollte ich aber nicht auf null runter, sondern einfach wieder wie früher zum Genuss trinken. Es hat dann aber einige Zeit gedauert und es fiel mir auch nicht so leicht. Ich musste verschiedene Muster durchbrechen. Ich war bewusst weniger mit meinen Kumpels in den Restaurants und Bars unterwegs. Zudem habe ich meinen Durst immer zuerst mit alkoholfreien Getränken – meist Wasser – gelöscht. Vor allem aber ging es um die Art zu trinken: Ich schüttete oder stürzte den Alkohol immer besinnungslos runter, das heisst ich konnte nicht in kleinen Schlucken trinken. Es hat schon eine Weile gedauert, bis ich das erkannt habe. Diese Angewohnheit habe ich aber jetzt auch abgelegt. Bestärkt hat mich das Wissen, dass ich auch den Raucherausstieg geschafft hatte.
Heute trinke ich immer noch ab und zu einmal ein Glas zu viel, aber seit acht Jahren niemals mehr auch nur annähernd die Menge von früher. Und ich bin oft über Tage ohne Alkohol. Um mich vor einem Rückfall zu stärken, mache ich bewusst Energiearbeit. Ich fühle mich wieder frei und muss nicht mehr an Alkohol denken.
Rolf, 51: gemeinsamer Weg
Meine Frau und ich haben uns angewöhnt, jeden Abend ein Bier zu trinken. Allmählich haben wir auch am Wochenende eine Flasche Wein zu zweit getrunken und dann noch am Sonntag oder Freitag eine. Wir wurden vom Genusstrinker schleichend zum Suchttrinker, auch wenn wir das nicht gemerkt haben. Eines Morgens hatte ich plötzlich Lust auf Bier. Das hatte ich noch nie im Leben. Und dann wusste ich: Jetzt musst du etwas machen. Wir haben dann das Bier am Abend geteilt, und ich habe alkoholfreies Bier gekauft.
Auch heute trinken wir manchmal eine Flasche zu zweit, aber eher selten, und wir können sie auch offen lassen. Bier trinken wir nicht mehr täglich und wenn, auch alkoholfreies.
Wir sind wieder zu Genusstrinkern geworden und haben rechtzeitig den Ausweg gefunden.
Nico, 18: Rauschtrinken und Cannabis
Mit 14 begannen die exzessiven Alkoholabende. Meist fanden diese im Nachbarsdorf statt, mit älteren Schülern, welche an harten Alkohol kamen. Gelegentlich stahl ich einige Flaschen hochprozentigen Schnaps aus dem Keller der Nachbarn. „Weicher“ Alkohol wie Bier oder Wein wurde selten bis nie konsumiert. Wir gingen mit dem Ziel aus, möglichst betrunken wieder heimzukommen. Wer sich übergab und weiter trank, wurde als Held gefeiert. Meine Mutter bekam von all dem so gut wie nichts mit, da sie als Hebamme arbeitet und entsprechend viele Schichten über die Nacht hinweg bewältigt.
Der Alkohol machte mich locker und lustig und liess meine Probleme in den Hintergrund treten. Wir hatten einfach eine gute Zeit.
Mit 15 Jahren und nach unzähligen Abenden des komplett sinnfreien Besaufens drehte mir ein damaliger Kumpel 2 Gramm Gras an. Er meinte, es wäre „super Zeugs“ und ich solle es doch mal probieren. Gesagt, getan – ich begann mehr Cannabis als Alkohol zu konsumieren, da mir der Rausch mehr zusagte. Ich war zu jeder Zeit mein eigener Herr, was bei Alkohol definitiv nicht der Fall ist. Der Mischkonsum von Cannabis und Alkohol lohnte sich für mich nicht, da mir dadurch vorwiegend übel wurde. Ich stellte meinen Alkoholkonsum bald hinten an, um mir den Cannabisrausch nicht zu „zerstören“.
Da ich seit je ein Mensch bin, der an psychoaktiven Substanzen grosses Interesse hegt, sammelte ich über die Zeit einen enormen Haufen an Informationen über Cannabis. Dabei stellte sich für mich persönlich heraus, dass Alkohol um einiges schädlicher ist als andere Substanzen. Damit war der Groschen eigentlich gefallen. Ich entschloss mich, Alkohol (wenn überhaupt) nur noch in kleinen Mengen zu konsumieren.
Heute kenne ich meine Grenzen und reize sie ungern aus. Wenn ich mir vornehme, höchstens Menge X zu konsumieren, bleibt es auch dabei. Dies ist eine grosse Stärke, wie ich finde, da ich nicht selten der einzige bin, der noch bei klarem Verstand ist. Oft konnte ich so Personen helfen, die in Notlagen geraten sind, sei es des Alkohols wegen oder unter Einfluss anderer Substanzen.
Zwischen jedem Glas Alkohol trinke ich mindestens ein Glas Wasser.
Momentan konsumiere ich weder Alkohol noch Cannabis noch andere Substanzen, da ich mir selbst eine drogenfreie Zeit von vier Monaten versprochen habe, um meinem Körper eine Pause zu gönnen.
Regula (ohne Altersangabe): ganz unten angekommen
Ich hatte mich bereits mit den Anonymen Alkoholikern AA in Verbindung gesetzt. Dann ging ich trotzdem nicht zum Treffen. Ich hatte die Vorstellung, das müssten völlig kaputte Menschen sein. Das hat mich abgeschreckt. Dies soll nicht abwertend gemeint sein. Vielmehr ging es um den inneren Widerstand, akzeptieren zu können, dass ich ganz unten angekommen war. Dies war allerdings auch der Anstoss, selbstständig damit zurecht zu kommen. So habe ich es geschafft, vom täglichen Konsum praktisch völlig herunter zu fahren.
Ich trinke, wenn überhaupt, nur noch 1-2 Mal im Monat. Dann aber auch sehr wenig. Etwa ein Glas Wein zum Abendessen im Restaurant.
Allerdings sollte ich dabei anmerken, dass ich schon Jahre zuvor mit anderen Substanzen Schluss gemacht habe. So rauche ich etwa seit mehr als zehn Jahren nicht mehr. Mit dem Kiffen habe ich bereits noch früher aufgehört. Zudem habe ich seit mehr als zwei Jahren kein Kokain mehr genommen und nehme auch sonst keine Drogen mehr. Wobei ich inzwischen tatsächlich gar kein Verlangen oder auch nur Interesse an diesen Substanzen verspüre. Es macht mir auch nichts, wenn neben mir geraucht wird.
All dies habe ich alleine und ohne fremde Hilfe geschafft. Obschon ich von zwei extrem suchterzeugenden Substanzen - Nikotin und Kokain - weg bin, fiel es mir beim Alkohol um einiges schwerer. Dies, weil ich damit - im Gegensatz zu den anderen Sachen - gar nicht aufhören wollte. So trinke ich auch selten mal noch etwas, während Nikotin und Kokain gar kein Thema mehr sind.
Christian, 61: Tipps und Tricks
Als Koch hatte ich beruflich viel mit Alkohol zu tun. Das hat dazu geführt, dass ich jeden Abend eine Flasche Wein getrunken habe. Mit der Zeit habe ich auch unterwegs getrunken. Dann habe ich meinen Job verloren und bin kurz entschlossen nach Indonesien gezogen. Ich habe gedacht: Jetzt werde ich ein Alki. Ich wollte nicht auf mein Glas verzichten. Dann habe ich einen Monat nichts getrunken, dann zwei Monate. Seither halte ich es so: Nie mehr ein Rausch, kein Schnaps – also nichts über 15 Volumenprozent. Dazwischen auch mal eine Woche ganz ohne Alkohol.
Wie ich das geschafft habe? Ich musste lernen, das Glas wieder zu geniessen. In jungen Jahren hatte ich viel mit Alkis gearbeitet. Bei denen ging’s beim Trinken immer ruck-zuck. Die schütten es runter – ein Schluck und weg. Wenn man Alkohol wieder als Genussmittel trinkt, langsam und bedacht, dann verbessert sich die Lebensqualität. Es hilft auch, eine Partnerin zu haben, die unterstützt und nicht befiehlt.
Wenn ich heute vor dem Fernseher ein Formel-1-Rennen schaue, dann stelle ich nur das Wasser auf den Tisch. Das Bier lasse ich im Kühlschrank und nehme mir nur ein kleines Glas voll mit. Damit verhindere ich, dass ich einfach ohne zu denken Bier trinke.
In meiner ersten Phase ohne Alkohol habe ich das Geld auf die Seite gelegt. Damit habe ich dann etwas Schönes gekauft. Diesen Gegenstand habe ich auf meinem Kühlschrank platziert. So erinnert er mich und motiviert mich auch immer wieder.
Markus, 38: Überdruss und neue Beziehung
Fünf Jahre lang habe ich immer im Ausgang viel getrunken. Zu viel. Zwei Mal pro Woche ging ich mit meinen Kollegen aus. Das war in Australien, später auch in der Schweiz. Ich habe vor allem Wodka Lemon getrunken, davon bekam ich nicht so Kopfweh. Das Trinken gehörte einfach dazu. Es war Pflicht, und ich wurde regelrecht genötigt. Oft haben wir auch „vorgeglüht“. Andere Drogen neben Alkohol habe ich nicht konsumiert.
Irgendwann wurde ich des Alkohols überdrüssig. Das kam automatisch. In jener Zeit habe ich auch meinen Freundeskreis gewechselt und meine heutige Partnerin kennen gelernt. Ich hatte genug vom wiederholten Kontrollverlust, den ich mit dem Alkohol erlebte. Diesen wollte ich nicht mehr riskieren.
Seit zwei Jahren habe ich einen moderateren Konsum. Ich trinke nicht täglich und meist nur ein bis zwei Gläser Wein oder Bier zum Essen. Ich meide bewusst den Kontakt zu Leuten, die viel trinken.
Doris, 51: für die Kinder
Mit 15 Jahren habe ich meinen Mann kennen gelernt. Gemeinsam haben wir angefangen, Alkohol zu trinken. Wir bekamen vier Kinder. Ich habe viel Zeit auf dem Spielplatz verbracht mit einer Gruppe junger Mütter. Auch dort haben wir zusammen getrunken. Ich hatte immer einen Flachmann mit Whiskey in der Handtasche.
Mein Mann war aus dem Thurgau und hat schon immer sauren Most getrunken. Das gehörte einfach dazu. Er war Alkoholiker und hat mich und die vier Kinder verlassen. Damals war das kleinste Kind erst einige Monate alt.
Das wollte ich meinen Kindern ersparen. Deshalb habe ich mit dem Trinken aufgehört. Den Kontakt zu den anderen Frauen auf dem Spielplatz habe ich beibehalten. Ich habe mich auch ohne Alkohol toll gefühlt.
Jetzt lebe ich seit 25 Jahren ohne Alkohol. Wenn ich so zurück denke, dann war das schon ein Problem.
Lars, 28: Beziehung mit Alkoholikerin führt zum Umdenken
Es ist ja nicht so, dass man als Jugendlicher zum Trinken gezwungen wird. Aber zu sagen, es bestünde kein sozialer Druck, wäre ebenfalls naiv. Ich habe mir, wie die meisten in meinem Alter, nie gross Gedanken darüber gemacht, ob dieses allsamstägliche Gezeche unter Freunden und der gelegentliche Absturz denn wirklich sein müssen. Es gehörte viel eher zum guten Ton. Und man verbrachte seine Zeit zumindest nicht einsam und allein zuhause. Da bestand zudem noch die Gefahr, dass einem die Eltern auf die Pelle rückten, da sie schlicht nicht verstehen konnten, dass man an einem Samstagabend alleine zuhause bleibt und einem Vorträge machten, ob man denn keine Freunde hätte etc. Nein, als Jugendlicher geht man doch in den Ausgang. Und Ausgang, das hiess zu meiner Zeit (wie wahrscheinlich heute auch noch): Bier, Bier und nochmals Bier (und Schnaps oder was auch immer).
Der Schuss fiel dann bei mir vor ca. vier Jahren. Ich war verliebt und stand in der Blüte meines Lebens, wie man sagt. Doch die Liebe sollte nicht von Dauer sein. Sie war vergiftet, und das Gift trieb mich schlicht an den Rand der Verzweiflung. Es wäre wahrscheinlich etwas plump zu behaupten, dass es sich beim Gift um Alkohol gehandelt hätte. Es war viel eher eine Beziehung, die von Extremen gelebt hat und mich die schönsten Glückgefühle wie auch den tiefstem Schmerz empfinden liess. Der Alkohol hat aber sicher eine massgebliche Rolle gespielt, dass unsere Liebe unter keinem guten Stern stand. Er hat schliesslich auch zum Bruch geführt, der dann kurze Zeit später definitiv war.
Diese Erfahrung hat in mir ein Umdenken herbeigeführt. Zum ersten Mal wurde mir bewusst, was es heisst, mit einer Alkoholikerin oder einem Alkoholiker zusammen zu leben. Nicht, dass ich alle Alkoholiker über den gleichen Kamm scheren möchte. Aber mit anzusehen, was Alkohol aus einem Menschen machen kann, wie verstörend dies auf Mitmenschen wirkt (ganz besonders auf jene, die einem am nächsten stehen!) und welchen Qualen man sie womöglich damit aussetzt – das hat bei mir dazu geführt, mein eigenes Trinkverhalten kritischer zu betrachten. Der Grundstein für die Entscheidung, weniger zu trinken, war damit gelegt.
Mit dieser ersten, geradezu traumatisierenden Erfahrung mit Alkoholismus wurde ich für das Thema sensibilisiert. Es kamen weitere Faktoren hinzu (weit verbreiteter Alkoholismus in der Familie, Depressionen etc.). Dies alles hat dann schlussendlich dazu geführt, dass ich nun seit ca. einem Jahr meinen Alkoholkonsum drastisch reduziert habe. Eine der besten Entscheidungen, die ich in meinem noch jungen Leben getroffen habe.